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Frog Blog

27.11.05, 23:57 Uhr

Le Pianiste

Der Pianist hier im Fernsehen gesehen, zusammen mit meiner Oma und ihrer Schwester. Eine Dimension, die ich verpasst hätte, hätte ich den Film in Deutschland gesehen, war es mitzuerleben, wie die eigene Sprache mit der dargestellten unsäglichen Barbarei verwoben wird. Und nicht wie in anderen Filmen ein paar Worte in gebrochenem Deutsch: "Raus! Achtung! Halt!" Nein, viel Deutsch, gesprochen von Deutschen. Das ist ein schwer zu beschreibendes Gefühl von Hässlichkeit. Auch schwer zu beschreiben ist das Gefühl als einziger Deutscher zwischen zwei Franzosen zu sitzen, während man diesen Film guckt. Auch wenn beide wohl im Traum nicht auf die Idee gekommen wären, mich auch nur schief anzugucken, man kommt doch nicht umhin, sich unwohl zu fühlen.

Wenn man in diesem (sehr guten) Film sieht – und erlebt – wie unzählige Menschen aus der Mitte der Gesellschaft gerissen werden, nicht wahrhaben können, was passiert und wie schnell es passiert, versuchen, ihr selbstverständliches Maß an Zivilisation, repräsentiert durch Dinge wie feine Umgangsformen, schöne Kleidung und einfach ein freiheitliches Selbstverständnis, und zuletzt nur noch ihre Würde zu wahren, als dem Untergang geweihte Inseln inmitten einer Barbarei, die um sie herum immer bizarrere Formen annimmt. Menschen, die sich noch über einen unangebrachten Umgangston empören, während sogar ihr Leben schon so wenig wert ist, dass es Opfer der Launen der deutschen Soldaten werden kann. Deutsche, die in die Wohnung einer Familie beim Essen eindringen und den Großvater im Rollstuhl aus dem Fenster schmeißen, weil er ihrem Befehl, aufzustehen, nicht nachkommt. Und dann immer im Ohr, wie Deutschland heute ist: "Es wird schon zu viel über das Dritte Reich geredet, ich zumindest kann es nicht mehr hören.", "Aber die anderen haben auch schlimme Dinge getan." und mein Favorite, in allen Lebenslagen immer wieder gerne geäußert von Alt und Jung und am liebsten bei tödlich Verunglückten: "Na dann hat er das aber auch nicht anders verdient." Ihr könnt es also nicht mehr hören, hm? Genug gelernt über das Dritte Reich, ja? Es muss auch mal gut sein, ist es das? Danke, keine weiteren Fragen.

Update: Ich habe das Foto von Willy Brandt auf Jans Anraten hin in diesen Link verlagert. Weil das Foto eh schon zu präsent ist und der Zusammenhang zum Text nicht direkt erkennbar ist.

2 Comments:

  • Hallo,

    das Crescendo der kanonischen Aussagen ueber
    das dritte Reich hat mich doch etwas getroffen;
    ich habe mal umgedreht.

    > "Na dann hat er das aber auch nicht anders
    > verdient."

    Wer diesen Satz ueber irgendeinen Beteiligten des
    zweiten Weltkriegs, der nicht im Generalsstab sass,
    loslaesst, hat eine fuer mich unverstaendliche
    Moralvorstellung, ja.
    I.A. lehnt man sich, je nach Groesse des Schadens,
    weit aus dem Fenster. Im Bagatellfall finde ich den
    Satz durchaus angebracht - wer den Koenig ins
    Kreuzfeuer hinein rochiert, hat seine Niederlage
    verdient. Den Tod hat niemand verdient, da gebe
    ich dir voellig recht.

    > "Aber die anderen haben auch schlimme Dinge
    > getan."

    Keine Frage, Schuld wiegt nicht Schuld auf.

    > "Es wird schon zu viel über das Dritte Reich
    > geredet, ich zumindest kann es nicht mehr
    > hören."

    Dieser Satz brachte mich eigentlich dazu, diesen
    Kommentar zu schreiben. Hier in Irland steht man
    ja als Aussenseiter mal daneben, wie eine Nation
    in der Vergangenheit versinkt, wie die Iren in ihrem
    Selbstmitleid gegenueber den Briten. Keine Frage,
    die Iren haben eine Menge gelitten, aber das Pro-
    blem an zu viel Vergangenheitsbewaeltigung, egal
    ob ein Staatsvolk (im Sinne der Staatentheorie) als
    Taeter oder Opfer dasteht, ist, dass es darueber
    die Gegenwart vergisst. Waehrend also kollektiv
    eines Unrechts gedacht wird, das sicherlich nicht zu
    entschuldigen ist, ruestet Deutschland weiter eine
    Angriffsarmee hoch und unterstuetzt Angriffskriege
    oder nimmt daran teil.

    Ich glaube, dass die endlose Wiederholung des
    Themas in den meisten Medien inzwischen kaum
    noch einen positiven Effekt in dem Sinne hat, die
    Verbrechen und das Leid im Bewusstsein zu halten,
    sondern, bis aus Ausnahmen, voyeuristisch gepraegt
    ist. "Oh seht mal, diese armen Menschen." Unser
    heutiges Schuldbewusstsein ist edel, haelfe aber
    an anderen Stellen, Leiden zu verhindern.

    Es gruesst aus einem Land, wo ein Schuldbewusst-
    sein unserer Generation auf Unverstaendnis trifft,
    Steve

    By Anonymous Anonym, at 28/11/05 19:17  

  • > "Es wird schon zu viel über das Dritte Reich
    > geredet, ich zumindest kann es nicht mehr
    > hören."

    Ich kann diese Aussage nachvollziehen, aber nicht gutheissen. Zumindest in meiner Schulzeit nahmen die zwölf tausendjährigen Jahre großen Raum im Unterricht ein und auch heute noch grinst einen von jedem zweiten Spiegeltitel ein Hitlerbild entgegen. Das nervt einfach irgendwann. Was daran tragisch ist, ist dass trotz ewiger Mahnungen erschreckend wenig von diesen in den Köpfen hängenbleibt. Hitler ist das Synonym für böse und immer gut um zu provozieren. Eine Auseinandersetzung mit Hintergünden, Ursachen und Inhalten des Nationalsozialismus unterbleibt. Und das birgt in meinen Augen Gefahren. Was wir in der öffentlichen Diskussion bräuchten sind weniger Hitlerportraits aber mehr Berichte über den Nationalsozialismus.

    Steve schrieb:
    Dieser Satz brachte mich eigentlich dazu, diesen Kommentar zu schreiben. Hier in Irland steht man
    ja als Aussenseiter mal daneben, wie eine Nation in der Vergangenheit versinkt, wie die Iren in ihrem
    Selbstmitleid gegenueber den Briten.


    Mir sind die Iren bei einem Besuch 2001 eher als weniger selbstbemittleidend, als vielmehr äußerst nationalstolz erschienen. Die Geschichtsdarstellung in öffentlichen Museen war aber schon (teilweise erschreckend) gefärbt.

    Keine Frage, die Iren haben eine Menge gelitten, aber das Problem an zu viel Vergangenheitsbewaeltigung, egal ob ein Staatsvolk (im Sinne der Staatentheorie) als Taeter oder Opfer dasteht, ist, dass es darueber
    die Gegenwart vergisst.

    Dein Verweis auf die Staatentheorie ist mir hier nicht ganz klar. Vielleicht erläuterst du das noch mal näher (evtl auch per PM). Natürlich besteht in einer Rückfokussierung der kollektiven Wahrnehmun eine Gefahr für die Betrachtung aktueller Ereignisse. Aber das ist mMn nach entkoppelt von Vergangengheits_bewältigung_ und nur in übermässiger Vergangenheits_betrachtung_ zu begründen.

    Waehrend also kollektiv eines Unrechts gedacht wird, das sicherlich nicht zu entschuldigen ist, ruestet Deutschland weiter eine Angriffsarmee hoch und unterstuetzt Angriffskriege oder nimmt daran teil.

    Von der Bundeswehr als einer Angriffsarmee zu sprechen halte ich (gleich wie man zu ihren Einsätzen steht) für schlicht sachlich falsch. Ausstattung und Strukturen sind nicht die einer Angriffsarmee. Und ausser dem Einsatz gegen Serbien waren alle deutschen Bundeswehreinsätze von der UN gedeckt. Man kann solche Einsätze sicher ablehnen. Doch die Frage, wie auf Verbrechen gegen die Menschheit (und das Völkermorde vorkommen sollte leider unstrittig sein) zu reagieren ist, bleibt.

    Ich glaube, dass die endlose Wiederholung des Themas in den meisten Medien inzwischen kaum
    noch einen positiven Effekt in dem Sinne hat, die Verbrechen und das Leid im Bewusstsein zu halten,
    sondern, bis aus Ausnahmen, voyeuristisch gepraegt ist. "Oh seht mal, diese armen Menschen."


    Nachdem ich kürlich in eine Fernsehdoku über "Hitlers Kampfschwimmer" hineingeraten bin, habe ich mich auch gefragt, was solche Sendungen noch sollen. Es werden immer die gleichen Filmaufnahmen neu zusammengeschnitten (gibt es irgendeine ZDF-Doku ohne die Szene Anfang 1945, in der Hitler eine Reihe irgendwelcher Kindersoldaten abgeht?) und der Infowert beschränkt sich auf: 'Die Deutschen haben toll gekämpft, aber da war ein großer Vollidiot und Verbrecher und dann wurde alles ganz schlimm und viele Leute sind gestorben' Das ist bei den ersten zwei, drei Dokus noch interessant, aber irgendwann sollte das jeder geschnallt haben. Echte Information fehlt. Das im zweiten Weltkrieg mehrere Millionen Juden ermordet wurden ist schlimm, aber die Botschaft, die die Menschen erreichen muss, ist, dass versucht wurde ein ganzes Volk auszurotten. Dass tausende Menschen einfach bei diesem Morden mitgemacht haben ohne Einhalt zu gebieten. Dass es ganz normale Menschen waren, die zu Massenmördern und Unmenschen wurden. Und vor allem, dass sich diese Ideologie nie wieder durchsetzen darf. Nicht nur, weil sie zu schrecklichen Kriegen führt, sondern weil sie Menschen systematisch ihrer Würde beraubt.

    Unser
    heutiges Schuldbewusstsein ist edel, haelfe aber an anderen Stellen, Leiden zu verhindern.


    Ich bin mir nicht sicher, ob Schuldbewusstsein der richtige Ausdruck ist. Mit der Formulierung als Deutscher Schuld an der Vergangenheit zu sein bin ich vorsichtig. Aber Verantwortung für die Vergangenheit dieses Landes zu tragen erscheint mir nötig. Und ob es ohne dieses Schuld/Verantwortungsgefühl gelänge diese Welt besser zu machen? Ich glaube nicht. Vielleicht wäre es dann möglich bei größeren und kleineren Katastrophen anders zu helfen. Aber der Blick auf die Gefahren totalitärer Gesellschaftsentwürfe, der durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit Deutschlands geschärft werden kann, ist wichtiger als alles andere, wenn er hilft ein globales 'Nie wieder' nicht nur zu artikulieren, sondern auch zu verwirklichen.

    So, dass war jetzt länglich, aber ich hoffe mal, es kam halbwegs rüber, was ich sagen wollte. Was ich als Literaturtipp nur empfehlen kann, wenn man die ZDF-Dokus langsam nicht mehr sehen kann ist Hannah Arendt: 'Eichmann in Jerusalem'. Ein Buch über den Prozess gegen den Organisator des Völkermordes an den Juden. Erschütternd aber sehr empfehlenswert.

    By Anonymous Anonym, at 12/12/05 00:00  

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