Literaturkritik
Wie schon lange angekündigt, schreibe ich nun endlich meine Meinung zu den Büchern, die ich bisher gelesen habe. Für wie qualifiziert ihr die erachtet, ist natürlich eure Sache :)
First but nonetheless least: Jacques-Michel Robert, "Nervenkitzel: Den grauen Zellen auf der Spur" ("L'aventure des Neurones" im Original). Was eigentlich etwas populärwissenschaftliche Literatur zum Entspannen werden sollte, hat sich als einziger narrativer Coitus interruptus herausgestellt. Ich habe es noch nie erlebt, dass jemand so viele interessante Geschichten angerissen und dann in all seiner sadistischen Dreistigkeit einfach nicht aufgelöst hat. Man hat sich im Schnitt alle zwei Seiten fragen müssen: "Ja und was verdammicht noch eins is' jetz' damit?" Er erzählt interessante Beobachtungen zum Teil über drei Seiten und anstatt dann anzufangen, diese Beobachtungen zu analysieren, Erklärungsversuche zu geben, sie halt zu interpretieren, wie Wissenschaftler das eben tun... geht er einfach zum nächsten Thema über. Lässt einen einfach im Regen stehen mit seinem Interesse. Ohne mit der Wimper zu zucken. Man fühlt sich wie ins Gesicht geschlagen. "Das kann jetz nich' sein! Das is' nich' dein Ernst, oder? Mach das ja nicht nochmal!" sagt man sich. Aber er macht es nochmal. Und nochmal. Und immer wieder, in einem fort. Dazu kommt, dass mir diese Flachpfeife von einem Autor ziemlich bald auch noch darüber hinaus unsympathisch wurde. Er hört sich unheimlich gerne reden, gewinnt man den Eindruck, von Gott und der Welt und als er hin und wieder denn mal ein Thema erwischte, von dem ich zufällig auch etwas Ahnung hatte, musste ich leider feststellen, dass sein Reden nicht immer ganz fundiert war (geschweige denn vollständig... ich sagte es schon). Ich muss denn auch gestehen, dass meine Kritik in sofern nicht ganz ausgegoren sein kann, als ich es nicht ausgehalten habe, dieses Buch bis zum Ende zu lesen. Ich hatte es fast geschafft, aber dann wurde das Gefühl zu stark, dass ich meine Zeit verschwende und nicht lesen muss, nur um mich aufzuregen. Also glaubt mir einfach trotzdem, wenn ich euch rate: Lest es nicht, dieses Buch! Lasst die Finger davon! Wenn ihr unbedingt ein Beispiel braucht, wie man es nicht machen sollte oder ihr euch mal kurz schütteln wollt oder ihr einfach grade eine masochistische Phase habt, leihe ich es euch gerne aus. Aber lest nicht mehr als ein paar Seiten, wenn man diese Erfahrung einmal gemacht hat (Und man *macht* sich kein Bild, bevor man es nicht erlebt hat!), reicht das völlig, man muss es nicht hundertfach haben.
Das nächste Buch war in meinem ganz frischen Bücherregal direkt daneben einsortiert, aber es konnte ja sowieso nur besser werden und da das Cover auch viel ansprechender war, war ich auch guter Dinge, dass es ganz hübsch werden würde. Das Buch war übrigens "Die Naturgeschichte des Ich" von Nicholas Humphrey ("A History of the Mind. Evolution and Birth of the Consciousness" im Original) und ihr erkennt es vielleicht von dem Artikel neulich (mehr oder weniger, der Entwurf dieses Artikels liegt schon etwas länger auf meiner Platte) über die E-Mail, die mir der Autor geschickt hat. Dementsprechend ahnt ihr es dann auch: Das Buch war an sich sehr gut. Humphrey war überzeugt, das Geist-Körper-Problem gelöst zu haben. Nicht gerade tief gestapelt das und dementsprechend habe ich dann auch nicht erwartet, dieses Versprechen wirklich eingelöst zu bekommen. Aber man muss sagen, seine Theorie ist sehr interessant und dementsprechend war es mir dann auch diese Mail wert, wo ich meinen Hauptkritikpunkt formuliert habe. Ich bin schon sehr gespannt, ob in seinem neuen Buch wirklich diese Bedenken ausgeräumt werden können (in dem Ausschnitt, den er mir geschickt hat, jedenfalls noch nicht) und ich habe weiterhin ernsthafte Zweifel. Aber interessant, diese Idee weiter zu verfolgen, finde ich es allemal. Aus einer Bemerkung in etwas Metaliteratur zum Thema "Bewusstsein" habe ich neulich dann zwar gelesen, dass es wohl jede Menge Theorien gibt und da ich so viele nicht kenne, weiß ich nicht, ob auch noch andere dabei sind, bei denen man das Gefühl hat, dass sie in die richtige Richtung weisen könnten. Ich würde dieses Buch deswegen auch nicht als absolutes Muss darstellen, eben weil noch so viel offen ist, aber interessant zu lesen ist es allemal und ich bin gespannt, wie die weitere Diskussion mit dem Autor verläuft. Ich habe ihm jetzt nämlich gesagt, dass mir das alles zu philosophisch ist. Wenn er konkrete Vorhersagen machen würde, hätte man eine Theorie, die man verifizieren oder falsifizieren könnte. Vielleicht kann ich die Konversation ja mal veröffentlichen, wenn sie abgeschlossen ist (und er nichts dagegen hat natürlich). Und wenn sie nicht jetzt schon vorzeitig abgeschlossen ist, weil ich Herrn Humphrey vergrault habe. Er hat sich nämlich seit meiner letzten Mail nicht mehr gemeldet.
Danach habe ich den Bereich der populärwissenschaftlichen Literatur verlassen und mich der fiktivwissenschaftlichen Literatur zugewandt. Mit anderen Worten: Science Fiction. Zuerst habe ich etwas beendet, was ich noch in Deutschland angefangen hatte, und zwar hatte ich mir dort von Steve die Foundation-Trilogie von Isaac Asimov ausgeliehen, zusammen mit dem Nachfolgeband "Foundation's Edge". Hier habe ich mir dann den Abschlussband "Foundation and Earth" zugelegt. Man muss nicht viel dazu sagen, Asimov ist einfach ein Genie. Und "to outbluff" ist das Schlagwort dieser Reihe. Ich fand diesen letzten Band nicht ganz so ehrfurchtserweckend wie die Vorgänger, aber auf dem Niveau macht das nicht viel.
Ich habe mich dann im Rahmen der Science Fiction weiter spezialisiert auf einen Bereich, von dem ich jetzt auch weiß, wie er heißt: Dystopien. Im Gegensatz zu Utopien. 1984 hatte ich schon vor einer Weile gelesen. Muss man nicht viele Worte drüber verlieren. Wer es noch nicht gelesen hat, sollte das ändern. Muss glaub ich nicht zwangsläufig auf Englisch sein, auch wenn ich nur das englische Buch kenne. Aber es scheint mir nicht so viel mit Sprache gemacht zu werden, dass es nicht eine Übersetzung auch gut überleben würde. Es ist auch nicht besonders dick, sodass es wirklich zumutbar ist. Dafür ist man dann mit großer Wahrscheinlichkeit von Anti-Terror-Paketen kuriert. Also Gesetzespakete, die den "internationalen Terrorismus" eindämmen sollen. Die größte Welle von internationalem Terrorismus sehe ich allerdings momentan im weltumspannenden Schnüren von Anti-Terror-Paketen. Naja, wie gesagt, wenn man 1984 gelesen hat, will man sich gar nicht mehr so sicher fühlen. Lieber ab und an ein Messer zwischen den Rippen als permanent Schily oder Beckstein in der Bude. Naja, mal sehen, was Schäuble jetzt veranstaltet. Außerdem sollte man ein Augenmerk auf die Funktionsweise des politischen Systems in diesem Buch legen und auf den beschriebenen Sinn von Krieg, den Einsatz von Sprache und die Informationspolitik. Und sich dann fragen, ob das völlig aus der Welt ist oder nur überzeichnende Science Fiction.
Aber eigentlich wollte ich ja nur über die Bücher schreiben, die ich hier gelesen habe und nicht meine ganze literarische Lebensgeschichte erzählen. Nur passte Orwell so gut in de Reihe. Ich hab weitergemacht mit dem zweitbekanntesten dieser Dystopie-Bücher, Aldous Huxleys Brave New World. Das ist allerdings vielleicht nicht mehr so bekannt, sodass ich kurz beschreiben will, worum es hier geht: Im Jahr 632 nach Ford gibt es die perfekte Gesellschaft. Jeder ist wunschlos glücklich. Naja, natürlich nicht jeder, denn über wunschlos glückliche Menschen lässt sich – so Huxley – keine Geschichte erzählen. Aber unglücklich sind im Grunde nur zwei Leute, bei denen irgend etwas schief gegangen sein muss. Die nicht wie die anderen ihren festen Platz in der Gesellschaft haben. Denn im 7. Jahrhundert nach Ford will dank genetischer Vorherbestimmung und pränataler und frühkindlicher Konditionierung niemand etwas anderes machen als er machen soll. Und wenn man trotz rechtem Fleck in der Gesellschaft und Geschlechtsverkehr mit wem man will nicht so richtig glücklich ist, gibt es Soma, eine Droge ohne unangenehme Nebenwirkungen. Warum das alles doch nicht so dufte ist, wie es erst klingt, beschreibt dieses Buch.
Es ist ein sehr gut geschriebenes Buch, fesselnd, interessant... und doch, für einen solchen Klassiker hat es mich an vielen Stellen enttäuscht. Huxley hat meiner Meinung nach seine damalige Welt (das Buch erschien zuerst 1932) zu platt in seine fiktive Zukunft übertragen. Durch die Industrialisierung geprägt wird jetzt der Mensch zur Massenware. So weit, so gut. Aber warum die dann zur Veranschaulichung gleich als 96-linge rumlaufen müssen... Aber das ist zwar befremdlich, aber nicht allzu schlimm. Auch die Propellorflugzeuge für jedermann und die Filmbänder zur Datenspeicherung sind verzeihlich. Nein, wirklich nervig wird es immer dann, wenn Religion ins Spiel kommt. Selbst die Pyramiden wurden gesprengt, Bücher sind seit Jahrhunderten verboten, warum, fragt ihr euch vielleicht, sollte in dieser Welt, wo Vergnügen aus der Steckdose kommt und sich keiner mehr über irgendwas Gedanken macht, außer mit wem er heute Abend ins Bett geht, Religion überhaupt noch vorkommen? Zumindest habe ich mich das gefragt. Und die Antwort nicht gefunden. Außer in der Biographie des Autors im Anhang. "deeply religious writer preoccupied with the human capacity for spiritual transcendence" liest man da. Ja, so etwas in der Art hatte ich das ganze Buch über befürchtet. Ständig wird in diese ansonsten in sich sehr geschlossene Welt die längst tote Religion wie ein Fremdkörper reingepflanscht. Jedes Mal fällt man als Leser aus allen Wolken, wo Huxley das Thema nun schon wieder herzaubert. Aber anscheinend kann er sich ein Leben ohne Religion nicht einmal vorstellen. Es wird Henry Ford verehrt statt Gott, es gibt sogar Bibelkreise 2.0 inklusive Zeremoniell und man bekreuzigt sich mit einem "T" (für das Modell von Ford). Am schlimmsten wird es dann am Ende in dem Gespräch mit dem Weltführer (einer ansonsten sehr gelungenen Person!). Zum einen, weil es eine der besten Stellen im Buch ist, sodass man tief fallen kann. Zum anderen ist hier die Religionsimplantation auch objektiv gesehen besonders schmerzhaft. Der Weltführer ist das, was man wohl als "krassen Checker" bezeichnen würde. Unheimlich belesen, voller Weisheiten, disst seinen Gesprächspartner in einer Tour. Unter anderem indem er ihm um die Ohren haut, dass man nur an Gott glaubt, weil man darauf konditioniert wird, vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Konditionierung in der schönen neuen Welt ein sehr schöner Gedanke! Gleichzeitig sagt er aber auch, dass er selbst an Gott glaubt. Ja und warum? Auch hier wieder: Keine Antwort.
Aber Religion nervt nicht als einziges. Im selben Gespräch sagt der Weltführer, dass man das als "natürlich" bezeichnet, das einem als natürlich anerzogen wurde. Wieder ein sehr schöner Gedanke. Leider hat Huxley sein Buch irgendwie nicht daraufhin probegelesen (Man muss ihm zugute halten, dass er selbst eingesteht, Fehler gemacht zu haben in dem Buch. Aber solche Fehler kratzen an der Substanz des ganzen Buches!). Ganz am Anfang regt sich einer seiner Protagonisten darüber auf, dass zwei Kollegen über eine Frau, die er mag, wie über ein Stück Fleisch reden. Woher soll er diese Idee haben, wenn er in einem Umfeld aufgewachsen ist, in dem es kein Konzept von sexueller Zurückhaltung gibt? Kommt da die menschliche "Natur" durch? Das würde dieser wundervollen Botschaft, dass Produkt unserer Einflüsse sind, sehr in den Rücken fallen.
Gleichberechtigung scheint der menschlichen Natur aber darüber hinaus noch zuwider zu laufen. So ist die Gesellschaft, die Huxley beschreibt, auf phantastische Weise gleichberechtigt. Es gibt ein Reservat von Hinterwäldlern, die davon aber noch nichts mitbekommen haben. Deswegen sind sie in extremem Maße sexistisch. "Naja," mag man meinen, "ist halt so bei denen. Die bezeichnen eine Frau mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern eben als Hure und hauen sie fast tot dafür, Kreiden die Männer, die ja auch irgendwie involviert waren, aber nicht einmal öffentlich an dafür." Tjo, kann man so sehen. Ist zwar wieder ein Fremdkörper im Buch diese Haltung, aber wenn dem so ist... Aber dass keiner der "zivilisierten" Menschen, der diese Geschichte hört, darüber stolpert und sich wundert, warum dieser Unterschied gemacht wird, der ihm fremd ist, das kann man dem Autor wirklich übel nehmen. Richtig überraschend ist es aber nicht, weil dieser Unterschied in der Wertung auch an anderen Stellen des Buches latent zutage tritt. Und letztendlich kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass das Verhalten der Frauen (nicht der Männer) Teil der Horrorvision sein soll, die die Gesellschaft in diesem Buch darstellt. Überhaupt soll wohl die ganze Offenheit mit der über Sex geredet wird und mit der er ausgeführt wird ebenfalls den Leser schocken. Dieser Gedanke lässt heutige Leser eher schmunzeln, sodass in diesem Sinne Huxleys grausige Vision schon zum Teil Wirklichkeit geworden ist. Ob diese Wirklichkeit aber so grausig ist, ist halt stark die Frage. Und letztendlich ist es hier wieder Huxleys Religiosität, unter der sein Buch leidet. Hätte er nicht so altertümliche christliche Wertvorstellungen, träfe "Brave New World" noch viel mehr ins Schwarze und wäre im negativen Sinne zukunftsweisender.
Was auch etwas platt geraten ist, ist die Gegenüberstellung von Kunst und der schönen neuen Welt. Von "Kultur" und "Nicht-Kultur". Das Vorgehen dabei erinnert mich etwas an eine gewisse E-Musik-Mentalität. Und auch hier sollte, wie bei der Religion, die Ignoranz bei den Menschen der schönen neuen Welt viel größer sein. Warum nennen sie immer noch Namen wie Shakespeare? Es sollte ihnen nicht einmal klar sein, dass Literatur oder Geschichte ein Thema ist, über das es wert ist zu reden. Stattdessen machen sie sich darüber lustig, was mehr Kenntnisnahme ist als glaubwürdig ist und somit als plattes erzählerisches Mittel rüberkommt, die Schlechtigkeit der schönen neuen Welt darzustellen und nebenbei den Leser in die Gegebenheiten einzuführen.
Wie gesagt, Brave New World ist ein sehr gutes Buch, umso bitterer sind die unnötigen Plattitüden und erzählerischen Fremdkörper.
Als nächste Dystopie habe ich mich dann an A Clockwork Orange gemacht.
Auf dem Buchrücken von "A Clockwork Orange" steht dick ein Zitat, das Werbung für das Buch machen soll: "I do not know of any other writer who has done as much with language... a very funny book."
Naja, ich fand das jetzt nicht unbedingt so werbend. Nur weil jemand viel mit einer Sprache anstellt, heißt das ja nicht, dass das auch irgendwie toll ist. Vor allem konkret das erstellen eines eigenen Slangs ist vielleicht irgendwie an sich schonmal bewundernswert, aber wenn es nur den Effekt hat, dass man als Lesen Schwierigkeiten hat, das Buch zu verstehen, ist das eine eher akademische Freude über diese Leistung. Aber jetzt, wo ich das Buch gelesen habe, kann ich mich dem angesprochenen Zitat nur anschließen! Nicht dass Burgess so viel mit Sprache anstellt ist genial, sondern dass es so eine Wirkung hat. Das Buch ist unheimlich lustig. Naja, zu Anfang habe ich wenig gelacht, aber der letzte Teil war wirklich urkomisch. Und das alleine wegen des erfundenen Jargons. Und die ganz eigene Form von Poesie kann man wohl nur nachvollziehen, wenn man das Buch gelesen hat. Man muss die beschriebene Gewalt vertragen können, was häufig alles andere als einfach ist. Es ist wirklich schockierend zum Teil, aber sehr lohnend. Das eigentliche Thema des Buches ist der freie Wille, aber ich will nicht zu viel von der Geschichte erzählen. Obwohl die meisten von euch wahrscheinlich schon den Film gesehen haben werden. Ich hatte ihn noch nicht gesehen und ich dachte ich mache mir diese eigentliche Bildungslücke zum Vorteil, indem ich das Buch vor dem Film lese. Ich lese nur sehr selten ein Buch, nachdem ich den Film gesehen habe. Umgekehrt geht das besser finde ich. Also bin ich gespannt auf den Film, aber auf jeden Fall sehr froh, das Buch vorher gelesen zu haben. Übrigens war ich sehr positiv überrascht, weil es ein Buch von Penguin Press ist, bei dem die Umschlaggestaltung nicht zum Davonlaufen oder Brechen ist. Alle Bücher von Penguin Press, die ich bisher gesehen habe, waren absolute Entwöhnungsbücher. Wie Nikotinpflaster für Leseratten. Man nimmt es in die Hand, wirft einen Blick darauf und hat eigentlich schon keinen Bock mehr, auch nur eine Zeile aus dem Buch zu lesen. Und mag es noch so gut sein. Bei 1984 hab ich mich überwunden, aber schön war's nicht. Und den Poe hier im Regal fass ich wider bessere Vorsätze schon seit Jahren nicht an. Und im Geschäft lass ich die Bücher meistens stehen, weil sie so hässlich und unästhetisch sind. Bücher, denen man ansieht, dass sie für die Schule gemacht wurden. Wo eh niemand das Buch lesen will, wo es egal ist, wo es ohnehin jeder lesen muss und wo es einfach billig sein soll, damit sich jeder eins kaufen kann. Und man meint, wenn man das Buch genau anguckt und ganz nah ans Ohr hält, kann man eine strenge Stimme hören, die sagt: "Schlagt auf, Seite 73 oben, Sven, du liest den Erzähler, Lisa, du die Misses Haringam..." *schauder* Aber nein, nicht so dieses Buch. Im Gegenteil, es hat eine schlichte, aber doch ansprechende Umschlaggestaltung und wenn das der neue Stil von Penguin Press ist, dann freue ich mich darauf, bald mehr von denen kaufen zu können :) Oh und was ich über das Buch selbst noch hervorheben sollte, bevor ich meine Literaturkritikrunde für heute beende: Ich hatte ja nach dem Vorwort erst Angst, weil doch da ein Ausschnitt zerpflückt wurde und ich kein Wort verstanden habe und vor den vielen komischen Ausdrücken gewarnt wurde – wie gesagt, es ist dieser Slang der einen großen Teil zum Buch beisteuert und es ist auch sonst sehr fesselnd geschrieben, sodass ich schwer davon loskam, als ich erst angefangen hatte. Und in dem Fall ist auch jedem nur zu empfehlen, es im Original zu lesen. Ich habe die deutsche Version natürlich nicht gesehen, aber es kann nur unheimlich verlieren, keine Chance da als Übersetzer viel zu retten in meinen Glazzies äh Augen, O my brothers. For thou shalt like viddy Your Humble Narrator's govoreeting real on thy oddy knocky. But fear not, my droogs, for not as hard to understand it will be as it may now seem to you.
PS: Ich habe inzwischen auch Fahrhenheit 451 gelesen. Allerdings kann ich dazu irgendwie nichts Qualifiziertes sagen. War ganz interessant, andererseits musste ich mich manchmal ein bisschen quälen, um weiterzulesen. Vielleicht kann Steve ja in einem Kommentar eine Kritikvorlage liefern, die man dann diskutieren kann. Immerhin hat er das Buch ja auch schonmal für den Ersti-Informanten rezensiert.
PPS: Und ich habe inzwischen herausgefunden, dass es die Penguin-Bücher mit silbernem Rücken sind, die annehmbar bis schön aufgemacht sind. Nicht schwarz und schon gar nicht dieses hellrosamatschfarben.
PPPS: Wie versprochen habe ich ein Foto von meinem gelesene-Bücher-Stapel hinzugefügt – meine aktuellen Projekte findet hier hier.
First but nonetheless least: Jacques-Michel Robert, "Nervenkitzel: Den grauen Zellen auf der Spur" ("L'aventure des Neurones" im Original). Was eigentlich etwas populärwissenschaftliche Literatur zum Entspannen werden sollte, hat sich als einziger narrativer Coitus interruptus herausgestellt. Ich habe es noch nie erlebt, dass jemand so viele interessante Geschichten angerissen und dann in all seiner sadistischen Dreistigkeit einfach nicht aufgelöst hat. Man hat sich im Schnitt alle zwei Seiten fragen müssen: "Ja und was verdammicht noch eins is' jetz' damit?" Er erzählt interessante Beobachtungen zum Teil über drei Seiten und anstatt dann anzufangen, diese Beobachtungen zu analysieren, Erklärungsversuche zu geben, sie halt zu interpretieren, wie Wissenschaftler das eben tun... geht er einfach zum nächsten Thema über. Lässt einen einfach im Regen stehen mit seinem Interesse. Ohne mit der Wimper zu zucken. Man fühlt sich wie ins Gesicht geschlagen. "Das kann jetz nich' sein! Das is' nich' dein Ernst, oder? Mach das ja nicht nochmal!" sagt man sich. Aber er macht es nochmal. Und nochmal. Und immer wieder, in einem fort. Dazu kommt, dass mir diese Flachpfeife von einem Autor ziemlich bald auch noch darüber hinaus unsympathisch wurde. Er hört sich unheimlich gerne reden, gewinnt man den Eindruck, von Gott und der Welt und als er hin und wieder denn mal ein Thema erwischte, von dem ich zufällig auch etwas Ahnung hatte, musste ich leider feststellen, dass sein Reden nicht immer ganz fundiert war (geschweige denn vollständig... ich sagte es schon). Ich muss denn auch gestehen, dass meine Kritik in sofern nicht ganz ausgegoren sein kann, als ich es nicht ausgehalten habe, dieses Buch bis zum Ende zu lesen. Ich hatte es fast geschafft, aber dann wurde das Gefühl zu stark, dass ich meine Zeit verschwende und nicht lesen muss, nur um mich aufzuregen. Also glaubt mir einfach trotzdem, wenn ich euch rate: Lest es nicht, dieses Buch! Lasst die Finger davon! Wenn ihr unbedingt ein Beispiel braucht, wie man es nicht machen sollte oder ihr euch mal kurz schütteln wollt oder ihr einfach grade eine masochistische Phase habt, leihe ich es euch gerne aus. Aber lest nicht mehr als ein paar Seiten, wenn man diese Erfahrung einmal gemacht hat (Und man *macht* sich kein Bild, bevor man es nicht erlebt hat!), reicht das völlig, man muss es nicht hundertfach haben.
Das nächste Buch war in meinem ganz frischen Bücherregal direkt daneben einsortiert, aber es konnte ja sowieso nur besser werden und da das Cover auch viel ansprechender war, war ich auch guter Dinge, dass es ganz hübsch werden würde. Das Buch war übrigens "Die Naturgeschichte des Ich" von Nicholas Humphrey ("A History of the Mind. Evolution and Birth of the Consciousness" im Original) und ihr erkennt es vielleicht von dem Artikel neulich (mehr oder weniger, der Entwurf dieses Artikels liegt schon etwas länger auf meiner Platte) über die E-Mail, die mir der Autor geschickt hat. Dementsprechend ahnt ihr es dann auch: Das Buch war an sich sehr gut. Humphrey war überzeugt, das Geist-Körper-Problem gelöst zu haben. Nicht gerade tief gestapelt das und dementsprechend habe ich dann auch nicht erwartet, dieses Versprechen wirklich eingelöst zu bekommen. Aber man muss sagen, seine Theorie ist sehr interessant und dementsprechend war es mir dann auch diese Mail wert, wo ich meinen Hauptkritikpunkt formuliert habe. Ich bin schon sehr gespannt, ob in seinem neuen Buch wirklich diese Bedenken ausgeräumt werden können (in dem Ausschnitt, den er mir geschickt hat, jedenfalls noch nicht) und ich habe weiterhin ernsthafte Zweifel. Aber interessant, diese Idee weiter zu verfolgen, finde ich es allemal. Aus einer Bemerkung in etwas Metaliteratur zum Thema "Bewusstsein" habe ich neulich dann zwar gelesen, dass es wohl jede Menge Theorien gibt und da ich so viele nicht kenne, weiß ich nicht, ob auch noch andere dabei sind, bei denen man das Gefühl hat, dass sie in die richtige Richtung weisen könnten. Ich würde dieses Buch deswegen auch nicht als absolutes Muss darstellen, eben weil noch so viel offen ist, aber interessant zu lesen ist es allemal und ich bin gespannt, wie die weitere Diskussion mit dem Autor verläuft. Ich habe ihm jetzt nämlich gesagt, dass mir das alles zu philosophisch ist. Wenn er konkrete Vorhersagen machen würde, hätte man eine Theorie, die man verifizieren oder falsifizieren könnte. Vielleicht kann ich die Konversation ja mal veröffentlichen, wenn sie abgeschlossen ist (und er nichts dagegen hat natürlich). Und wenn sie nicht jetzt schon vorzeitig abgeschlossen ist, weil ich Herrn Humphrey vergrault habe. Er hat sich nämlich seit meiner letzten Mail nicht mehr gemeldet.
Danach habe ich den Bereich der populärwissenschaftlichen Literatur verlassen und mich der fiktivwissenschaftlichen Literatur zugewandt. Mit anderen Worten: Science Fiction. Zuerst habe ich etwas beendet, was ich noch in Deutschland angefangen hatte, und zwar hatte ich mir dort von Steve die Foundation-Trilogie von Isaac Asimov ausgeliehen, zusammen mit dem Nachfolgeband "Foundation's Edge". Hier habe ich mir dann den Abschlussband "Foundation and Earth" zugelegt. Man muss nicht viel dazu sagen, Asimov ist einfach ein Genie. Und "to outbluff" ist das Schlagwort dieser Reihe. Ich fand diesen letzten Band nicht ganz so ehrfurchtserweckend wie die Vorgänger, aber auf dem Niveau macht das nicht viel.
Ich habe mich dann im Rahmen der Science Fiction weiter spezialisiert auf einen Bereich, von dem ich jetzt auch weiß, wie er heißt: Dystopien. Im Gegensatz zu Utopien. 1984 hatte ich schon vor einer Weile gelesen. Muss man nicht viele Worte drüber verlieren. Wer es noch nicht gelesen hat, sollte das ändern. Muss glaub ich nicht zwangsläufig auf Englisch sein, auch wenn ich nur das englische Buch kenne. Aber es scheint mir nicht so viel mit Sprache gemacht zu werden, dass es nicht eine Übersetzung auch gut überleben würde. Es ist auch nicht besonders dick, sodass es wirklich zumutbar ist. Dafür ist man dann mit großer Wahrscheinlichkeit von Anti-Terror-Paketen kuriert. Also Gesetzespakete, die den "internationalen Terrorismus" eindämmen sollen. Die größte Welle von internationalem Terrorismus sehe ich allerdings momentan im weltumspannenden Schnüren von Anti-Terror-Paketen. Naja, wie gesagt, wenn man 1984 gelesen hat, will man sich gar nicht mehr so sicher fühlen. Lieber ab und an ein Messer zwischen den Rippen als permanent Schily oder Beckstein in der Bude. Naja, mal sehen, was Schäuble jetzt veranstaltet. Außerdem sollte man ein Augenmerk auf die Funktionsweise des politischen Systems in diesem Buch legen und auf den beschriebenen Sinn von Krieg, den Einsatz von Sprache und die Informationspolitik. Und sich dann fragen, ob das völlig aus der Welt ist oder nur überzeichnende Science Fiction.
Aber eigentlich wollte ich ja nur über die Bücher schreiben, die ich hier gelesen habe und nicht meine ganze literarische Lebensgeschichte erzählen. Nur passte Orwell so gut in de Reihe. Ich hab weitergemacht mit dem zweitbekanntesten dieser Dystopie-Bücher, Aldous Huxleys Brave New World. Das ist allerdings vielleicht nicht mehr so bekannt, sodass ich kurz beschreiben will, worum es hier geht: Im Jahr 632 nach Ford gibt es die perfekte Gesellschaft. Jeder ist wunschlos glücklich. Naja, natürlich nicht jeder, denn über wunschlos glückliche Menschen lässt sich – so Huxley – keine Geschichte erzählen. Aber unglücklich sind im Grunde nur zwei Leute, bei denen irgend etwas schief gegangen sein muss. Die nicht wie die anderen ihren festen Platz in der Gesellschaft haben. Denn im 7. Jahrhundert nach Ford will dank genetischer Vorherbestimmung und pränataler und frühkindlicher Konditionierung niemand etwas anderes machen als er machen soll. Und wenn man trotz rechtem Fleck in der Gesellschaft und Geschlechtsverkehr mit wem man will nicht so richtig glücklich ist, gibt es Soma, eine Droge ohne unangenehme Nebenwirkungen. Warum das alles doch nicht so dufte ist, wie es erst klingt, beschreibt dieses Buch.
Es ist ein sehr gut geschriebenes Buch, fesselnd, interessant... und doch, für einen solchen Klassiker hat es mich an vielen Stellen enttäuscht. Huxley hat meiner Meinung nach seine damalige Welt (das Buch erschien zuerst 1932) zu platt in seine fiktive Zukunft übertragen. Durch die Industrialisierung geprägt wird jetzt der Mensch zur Massenware. So weit, so gut. Aber warum die dann zur Veranschaulichung gleich als 96-linge rumlaufen müssen... Aber das ist zwar befremdlich, aber nicht allzu schlimm. Auch die Propellorflugzeuge für jedermann und die Filmbänder zur Datenspeicherung sind verzeihlich. Nein, wirklich nervig wird es immer dann, wenn Religion ins Spiel kommt. Selbst die Pyramiden wurden gesprengt, Bücher sind seit Jahrhunderten verboten, warum, fragt ihr euch vielleicht, sollte in dieser Welt, wo Vergnügen aus der Steckdose kommt und sich keiner mehr über irgendwas Gedanken macht, außer mit wem er heute Abend ins Bett geht, Religion überhaupt noch vorkommen? Zumindest habe ich mich das gefragt. Und die Antwort nicht gefunden. Außer in der Biographie des Autors im Anhang. "deeply religious writer preoccupied with the human capacity for spiritual transcendence" liest man da. Ja, so etwas in der Art hatte ich das ganze Buch über befürchtet. Ständig wird in diese ansonsten in sich sehr geschlossene Welt die längst tote Religion wie ein Fremdkörper reingepflanscht. Jedes Mal fällt man als Leser aus allen Wolken, wo Huxley das Thema nun schon wieder herzaubert. Aber anscheinend kann er sich ein Leben ohne Religion nicht einmal vorstellen. Es wird Henry Ford verehrt statt Gott, es gibt sogar Bibelkreise 2.0 inklusive Zeremoniell und man bekreuzigt sich mit einem "T" (für das Modell von Ford). Am schlimmsten wird es dann am Ende in dem Gespräch mit dem Weltführer (einer ansonsten sehr gelungenen Person!). Zum einen, weil es eine der besten Stellen im Buch ist, sodass man tief fallen kann. Zum anderen ist hier die Religionsimplantation auch objektiv gesehen besonders schmerzhaft. Der Weltführer ist das, was man wohl als "krassen Checker" bezeichnen würde. Unheimlich belesen, voller Weisheiten, disst seinen Gesprächspartner in einer Tour. Unter anderem indem er ihm um die Ohren haut, dass man nur an Gott glaubt, weil man darauf konditioniert wird, vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Konditionierung in der schönen neuen Welt ein sehr schöner Gedanke! Gleichzeitig sagt er aber auch, dass er selbst an Gott glaubt. Ja und warum? Auch hier wieder: Keine Antwort.
Aber Religion nervt nicht als einziges. Im selben Gespräch sagt der Weltführer, dass man das als "natürlich" bezeichnet, das einem als natürlich anerzogen wurde. Wieder ein sehr schöner Gedanke. Leider hat Huxley sein Buch irgendwie nicht daraufhin probegelesen (Man muss ihm zugute halten, dass er selbst eingesteht, Fehler gemacht zu haben in dem Buch. Aber solche Fehler kratzen an der Substanz des ganzen Buches!). Ganz am Anfang regt sich einer seiner Protagonisten darüber auf, dass zwei Kollegen über eine Frau, die er mag, wie über ein Stück Fleisch reden. Woher soll er diese Idee haben, wenn er in einem Umfeld aufgewachsen ist, in dem es kein Konzept von sexueller Zurückhaltung gibt? Kommt da die menschliche "Natur" durch? Das würde dieser wundervollen Botschaft, dass Produkt unserer Einflüsse sind, sehr in den Rücken fallen.
Gleichberechtigung scheint der menschlichen Natur aber darüber hinaus noch zuwider zu laufen. So ist die Gesellschaft, die Huxley beschreibt, auf phantastische Weise gleichberechtigt. Es gibt ein Reservat von Hinterwäldlern, die davon aber noch nichts mitbekommen haben. Deswegen sind sie in extremem Maße sexistisch. "Naja," mag man meinen, "ist halt so bei denen. Die bezeichnen eine Frau mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern eben als Hure und hauen sie fast tot dafür, Kreiden die Männer, die ja auch irgendwie involviert waren, aber nicht einmal öffentlich an dafür." Tjo, kann man so sehen. Ist zwar wieder ein Fremdkörper im Buch diese Haltung, aber wenn dem so ist... Aber dass keiner der "zivilisierten" Menschen, der diese Geschichte hört, darüber stolpert und sich wundert, warum dieser Unterschied gemacht wird, der ihm fremd ist, das kann man dem Autor wirklich übel nehmen. Richtig überraschend ist es aber nicht, weil dieser Unterschied in der Wertung auch an anderen Stellen des Buches latent zutage tritt. Und letztendlich kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass das Verhalten der Frauen (nicht der Männer) Teil der Horrorvision sein soll, die die Gesellschaft in diesem Buch darstellt. Überhaupt soll wohl die ganze Offenheit mit der über Sex geredet wird und mit der er ausgeführt wird ebenfalls den Leser schocken. Dieser Gedanke lässt heutige Leser eher schmunzeln, sodass in diesem Sinne Huxleys grausige Vision schon zum Teil Wirklichkeit geworden ist. Ob diese Wirklichkeit aber so grausig ist, ist halt stark die Frage. Und letztendlich ist es hier wieder Huxleys Religiosität, unter der sein Buch leidet. Hätte er nicht so altertümliche christliche Wertvorstellungen, träfe "Brave New World" noch viel mehr ins Schwarze und wäre im negativen Sinne zukunftsweisender.
Was auch etwas platt geraten ist, ist die Gegenüberstellung von Kunst und der schönen neuen Welt. Von "Kultur" und "Nicht-Kultur". Das Vorgehen dabei erinnert mich etwas an eine gewisse E-Musik-Mentalität. Und auch hier sollte, wie bei der Religion, die Ignoranz bei den Menschen der schönen neuen Welt viel größer sein. Warum nennen sie immer noch Namen wie Shakespeare? Es sollte ihnen nicht einmal klar sein, dass Literatur oder Geschichte ein Thema ist, über das es wert ist zu reden. Stattdessen machen sie sich darüber lustig, was mehr Kenntnisnahme ist als glaubwürdig ist und somit als plattes erzählerisches Mittel rüberkommt, die Schlechtigkeit der schönen neuen Welt darzustellen und nebenbei den Leser in die Gegebenheiten einzuführen.
Wie gesagt, Brave New World ist ein sehr gutes Buch, umso bitterer sind die unnötigen Plattitüden und erzählerischen Fremdkörper.
Als nächste Dystopie habe ich mich dann an A Clockwork Orange gemacht.
Auf dem Buchrücken von "A Clockwork Orange" steht dick ein Zitat, das Werbung für das Buch machen soll: "I do not know of any other writer who has done as much with language... a very funny book."
Naja, ich fand das jetzt nicht unbedingt so werbend. Nur weil jemand viel mit einer Sprache anstellt, heißt das ja nicht, dass das auch irgendwie toll ist. Vor allem konkret das erstellen eines eigenen Slangs ist vielleicht irgendwie an sich schonmal bewundernswert, aber wenn es nur den Effekt hat, dass man als Lesen Schwierigkeiten hat, das Buch zu verstehen, ist das eine eher akademische Freude über diese Leistung. Aber jetzt, wo ich das Buch gelesen habe, kann ich mich dem angesprochenen Zitat nur anschließen! Nicht dass Burgess so viel mit Sprache anstellt ist genial, sondern dass es so eine Wirkung hat. Das Buch ist unheimlich lustig. Naja, zu Anfang habe ich wenig gelacht, aber der letzte Teil war wirklich urkomisch. Und das alleine wegen des erfundenen Jargons. Und die ganz eigene Form von Poesie kann man wohl nur nachvollziehen, wenn man das Buch gelesen hat. Man muss die beschriebene Gewalt vertragen können, was häufig alles andere als einfach ist. Es ist wirklich schockierend zum Teil, aber sehr lohnend. Das eigentliche Thema des Buches ist der freie Wille, aber ich will nicht zu viel von der Geschichte erzählen. Obwohl die meisten von euch wahrscheinlich schon den Film gesehen haben werden. Ich hatte ihn noch nicht gesehen und ich dachte ich mache mir diese eigentliche Bildungslücke zum Vorteil, indem ich das Buch vor dem Film lese. Ich lese nur sehr selten ein Buch, nachdem ich den Film gesehen habe. Umgekehrt geht das besser finde ich. Also bin ich gespannt auf den Film, aber auf jeden Fall sehr froh, das Buch vorher gelesen zu haben. Übrigens war ich sehr positiv überrascht, weil es ein Buch von Penguin Press ist, bei dem die Umschlaggestaltung nicht zum Davonlaufen oder Brechen ist. Alle Bücher von Penguin Press, die ich bisher gesehen habe, waren absolute Entwöhnungsbücher. Wie Nikotinpflaster für Leseratten. Man nimmt es in die Hand, wirft einen Blick darauf und hat eigentlich schon keinen Bock mehr, auch nur eine Zeile aus dem Buch zu lesen. Und mag es noch so gut sein. Bei 1984 hab ich mich überwunden, aber schön war's nicht. Und den Poe hier im Regal fass ich wider bessere Vorsätze schon seit Jahren nicht an. Und im Geschäft lass ich die Bücher meistens stehen, weil sie so hässlich und unästhetisch sind. Bücher, denen man ansieht, dass sie für die Schule gemacht wurden. Wo eh niemand das Buch lesen will, wo es egal ist, wo es ohnehin jeder lesen muss und wo es einfach billig sein soll, damit sich jeder eins kaufen kann. Und man meint, wenn man das Buch genau anguckt und ganz nah ans Ohr hält, kann man eine strenge Stimme hören, die sagt: "Schlagt auf, Seite 73 oben, Sven, du liest den Erzähler, Lisa, du die Misses Haringam..." *schauder* Aber nein, nicht so dieses Buch. Im Gegenteil, es hat eine schlichte, aber doch ansprechende Umschlaggestaltung und wenn das der neue Stil von Penguin Press ist, dann freue ich mich darauf, bald mehr von denen kaufen zu können :) Oh und was ich über das Buch selbst noch hervorheben sollte, bevor ich meine Literaturkritikrunde für heute beende: Ich hatte ja nach dem Vorwort erst Angst, weil doch da ein Ausschnitt zerpflückt wurde und ich kein Wort verstanden habe und vor den vielen komischen Ausdrücken gewarnt wurde – wie gesagt, es ist dieser Slang der einen großen Teil zum Buch beisteuert und es ist auch sonst sehr fesselnd geschrieben, sodass ich schwer davon loskam, als ich erst angefangen hatte. Und in dem Fall ist auch jedem nur zu empfehlen, es im Original zu lesen. Ich habe die deutsche Version natürlich nicht gesehen, aber es kann nur unheimlich verlieren, keine Chance da als Übersetzer viel zu retten in meinen Glazzies äh Augen, O my brothers. For thou shalt like viddy Your Humble Narrator's govoreeting real on thy oddy knocky. But fear not, my droogs, for not as hard to understand it will be as it may now seem to you.
PS: Ich habe inzwischen auch Fahrhenheit 451 gelesen. Allerdings kann ich dazu irgendwie nichts Qualifiziertes sagen. War ganz interessant, andererseits musste ich mich manchmal ein bisschen quälen, um weiterzulesen. Vielleicht kann Steve ja in einem Kommentar eine Kritikvorlage liefern, die man dann diskutieren kann. Immerhin hat er das Buch ja auch schonmal für den Ersti-Informanten rezensiert.
PPS: Und ich habe inzwischen herausgefunden, dass es die Penguin-Bücher mit silbernem Rücken sind, die annehmbar bis schön aufgemacht sind. Nicht schwarz und schon gar nicht dieses hellrosamatschfarben.
PPPS: Wie versprochen habe ich ein Foto von meinem gelesene-Bücher-Stapel hinzugefügt – meine aktuellen Projekte findet hier hier.
1 Comments:
Hi Christian und Lesende,
erstmal sorry, dass meine kleine Anmerkung hier
so spaet kommt. Aber zu der Brave New World
muss ich dann doch etwas verteidigen.
> Nein, wirklich nervig wird es immer dann, wenn
> Religion ins Spiel kommt.
Ich bettle zu unterscheiden, um es mit den Worten
des Babelfischs zu sagen.
Gott ist sogar notwendig, um die Brave New World
zu einer konsistenten Dystopie zu machen, ohne
noch flacher zu werden.
Dazu muss man noch nicht mal auf die Biographie
des Autors zurueckgreifen, was eh eine Unsitte ist,
die man einschraenken sollte, sondern kann das
aus dem Werk und dem entsprechenden Hinter-
grund herleiten. Das ist zwar recht trivial, aber
etwas laenglich, weshalb ich das Argument mal
geTeXt habe:
http://www.netsoc.tcd.ie/~swolter/BraveNewWorld_god.pdf
Ich kann leider zu Fahrenheit 451 nicht viel
sagen; mir blieb es zu wenig in Erinnerung.
Ich finde, auf dieses Werk trifft deine auf die
Brave New World zielende Kritik der Plattituede
ebenfalls ganz hervorragend - ein simpler Gedanke
darf nicht zu lange ausgewalzt werden.
Ich versuche mal, meine Restgedanken zu diesem
Thema neu zu sammeln:
Das durchlaufende Thema von Fahrenheit 451 ist
das der Buecherverbrennung zum hoeheren Zweck.
Der Staat ist hier geschickter als derjenige des
grossen Bruders aus 1984, da er nicht versucht,
andauernd die Geschichte zu aendern und kritische
Gedanken zu unterdruecken, sondern das Problem
verhindert, indem bleibende Informationsquellen
verboten und verbrannt und Menschen durchs
Fernsehen verbloedet werden, bis kritische
Gedanken vollkommen unmoeglich sind.
Was Fahrenheit 451 in den Kanon bringt, ist der
subtile Unterschied in der Motivation im Vergleich
zu 1984: Die Buecherverbrennung geschieht zum
Wohle aller. Buecher fuehren nur zu Gedanken,
Gedanken zu Meinungen, Meinungen zu Meinungs-
unterschieden, Meinungsunterschiede zu Streit,
Streit zu Feindschaft, Feindschaft zu Leid.
Leid ist boese, also sind Buecher boese.
Keiner der Beteiligten handelt hier im Interesse der
eigenen Macht, wie die Partei aus 1984, sondern
alle nur zum Wohle aller. Das macht es erheblich
leichter, Herrn Schaeuble, der ja sicherlich aus sehr
edlen Motiven heraus handelt, nicht
stumpf als "Big Brother" anzugreifen, was falsch
waere (die taz laesst sich als Bild der Pseudointel-
lektuellen nicht davon abhalten), sondern ihm gera-
de diese Folgen einer wohlgemeinten Informations-
politik vorzufuehren.
Ich hoffe, das kann irgendwie als Vorlage fuer eine
sinnvolle Interpretation dienen ;-).
Schoenen Gruss, Steve
By Anonym, at 28/11/05 19:00
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