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Frog Blog

16.12.05, 21:13 Uhr

Busfahrer sind zwar nicht alle, aber überall gleich

Zumindest gibt es auch hier so richtige Arschlochexemplare. Gestern geh ich grade auf die Straße raus und exakt im selben Augenblick donnert der Bus an mir vorbei. Meine erste Reaktion war: "Oh Mist!" und meine zweite: "Den kriegste noch!" Sind so 300m bis zur Haltestelle und zwei Straßen dazwischen. Andererseits braucht der Kahn im Kreisverkehr auch immer nen Moment, deswegen hatte ich ne Chance. Ich wetz also los wie'n Irrer, über die Straßen rüber und dann halb durch den Kreisverkehr zur Haltestelle. Als der letzte in den Bus einsteigt, hab ich selbigen auch erreicht und bin nur noch zwei bis drei Sekunden vom Eingang entfernt. Und was macht die Sau? Die Tür zu! Eine halbe Sekunde nachdem sie sich ganz geschlossen hat, klatsche ich noch im vollen Lauf mit beiden Händen gegen die Scheibe. Das kann man ja bald nicht mehr "vor der Nase zumachen" nennen. Ich war denn auch im ersten Moment zu perplex um ihm ein angemessenes "Verfluchter Wichser!" hinterher zu brüllen (wär auch auf Deutsch ok gewesen, die Geste zählt). Das war dann auch, was mich am meisten gestört hat die ganze Zeit danach, als ich auf den nächsten Bus gewartet habe, dass ich nicht einmal sein Gesicht richtig gesehen habe und ihm so nie werde sagen können, was für ein verdammter Arsch er ist.

Naja, ich hab's dann irgendwann doch noch in die Uni geschafft und sogar pünktlich. Aber ich muss schon sagen, nachdem mir die beiden Male zuvor der Berg ja wieder leichter gefallen ist, war ich da wieder derbe abgekämpft. Weiß nicht, ob ich mich doch noch mehr gehetzt habe, oder ob ich noch geschlaucht war von dem Sprint. Jedenfalls kam ich dann oben an und musste erstmal mein Gebäude suchen. Raumplanänderungen sind nämlich auch ein internationales Phänomen. Zum Glück hab ich sehr schnell Leute erspäht, die auch völlig planlos in der Gegend rumgerannt sind und die dieselbe Vorlesung wollten wie ich, wie sich dann herausstellte. Und da die Dozentin eh viel zu spät kam, machte das alles gar nichts. Die Vorlesung selbst war dann echt interessant. War eigentlich wieder über Audioschnittstellen, aber diesmal hat sie (Profs wechseln hier dauernd, das soll aber so) uns eine Kurzeinführung in das Lesen von Spektrogrammen gegeben. Sogar mit Praxisteil (obwohl die Vorlesungen in Orsay, die ich besuche, wohl keine speziellen Übungen haben), wo wir dann zuerst sagen sollten, ob eine Stimme männlich oder weiblich ist, ob sie flüstert, sich aufregt oder sonstwas besonderes ist und dann sollten wir ein Spektrogramm eines gesprochenen Satzes segmentieren und die jeweiligen Phoneme darunter schreiben. Wir kannten zwar den Satz, aber dass das ganze auf Französisch war, machte es nicht gerade einfacher. Nach meiner Zählung waren wir in dem Kurs übrigens sechs Ausländer zu drei Franzosen ;)

"Les sauveteurs n'ont pu pénétré au rez-de-chaussée." ("Die Helfer konnten nicht ins Erdgeschoss vordringen"... fragt mich nicht!) muss man eh erstmal in "lesɔftœRnõpypenetReoRet∫ose" transkribiert kriegen. Und wer das jetzt schon kryptisch findet – als Spektrogramm wird es nicht unbedingt besser. Auf der anderen Seite braucht man das Spektrogramm, damit man überhaupt weiß, welche Laute genau benutzt werden. Aber so wurde für mich in dieser Vorlesung auch ein Rätsel gelöst, an dem ich schon öfter geknabbert habe: Im Deutschen gibt es ja die Auslautverhärtung, im Französischen eigentlich nicht (mehr). Allerdings bin ich immer wieder bei Muttersprachlern auf Phänomene gestoßen, die dem zu widersprechen schienen. Und wenn man mal bei diesem Satz hinguckt: "au rez-de-chaussée" wird "oRet∫ose" gesprochen, nicht "oRedə∫ose". Hätte ein Deutscher nicht schöner sagen können. Aber – und jetzt kommt's – das kommt gar nicht daher, dass das ein Silbenschluss ist, sondern daher, dass dahinter ein stimmloser Laut folgt (∫). Jaha! Es gibt nämlich sogar das umgekehrte Phänomen. Zum Beispiel in "paquebot" ("Ozeandampfer"), was normalerweise nicht "pakəbo" ausgesprochen wird, sondern "pagbo". Tja, da bricht man sich als mehr oder weniger Norddeutscher dann wieder die Zunge dran ab. Und sowas nährt bei mir immer die Zweifel, ob ich jemals zu Real-Time-Französischprocessing in der Lage sein werde. Zumal es auch zu dieser Regel Ausnahmen gibt :/ Wie auch immer, diese Spektrogrammaufgabe habe ich jedenfalls hingekriegt und das sogar ohne Hilfestellungen und so gut wie ohne Fehler (geschlossenes statt offenem "o", mein Gott). Da war ich dann natürlich stolz wie Oskar :) Als Hausaufgabe sollen wir ein weiteres Spektrogramm so bearbeiten... ohne den gesprochenen Satz zu kennen. Ha ha! Das brauch ich dann wiederum gar nicht erst versuchen glaub ich. Auf jeden Fall eine sehr interessante Stunde und man gewinnt neuen Respekt vor der Leistung von Spracherkennungssystemen... insbesondere unserem Ohr ;)

Nach der Vorlesung, auf dem gefährlichen Weg nach unten, hab ich noch mit einem Kommilitonen gequatscht. Hab ihn auch ausgefragt, wo denn die Leute in der Regel so wohnen würden. Aber auch in Orsay das gleiche Bild: Alle wohnen direkt bei ihrer Uni um die Ecke, Richtung Paris quasi keine Sau. So ein Ärger.

Abends war dann, ich hatte es glaub ich nur angedeutet, schon wieder eine Party in Torcy. War auch wieder sehr nett, bis zu dem Zeitpunkt, wo plötzlich fast alle verschwunden sind. Und ich hab mich nicht rechtzeitig loseisen können, sodass ich wieder da geschlafen habe. Diesmal zwar auf einer Isomatte, die war aber nicht sehr dick und ich bin dauernd aufgewacht, weil mir die Seite weh tat, auf der ich gelegen hab. Dann hab ich mich immer unter Schmerzen umgedreht und bin wieder eingepennt. Oft mach ich das besser nicht. Dann am nächsten Tag nach Hause, grade etwas Brot reingeschoben und wieder weiter nach Orsay, zur letzten Vorlesung vor den Ferien. Und jetzt ist es schon (entgegen dem Timestamp, der ja nur angibt, wann ich die Seite aufgemacht habe, um diesen Artikel zu schreiben) zehn nach fünf Uhr morgens und ich hab morgen doch noch so viel vor. Ganz viel Weihnachtsdeko gucken zum Beispiel. Und den Weihnachtsmarkt ausprobieren, auf dem es weißen Glühwein geben soll. Ich halte euch natürlich über all das auf dem Laufenden, aber erstmal geh ich denn jetzt ins Bett.

PS: Ein Detail muss ich noch erzählen. Ich mach mir oft Notizen in mein Handy, damit ich Stichpunkte habe, über was ich bloggen will. "Spektro" ist nun ein Wort, das mein T9-Wörterbuch wie erwartet nicht enthalten hat, aber das puzzeln war lustig genug. "spe" wurde ohne Intervention meinerseits erstmal zu "spd" und nachdem ich dann irgendwie auf die Idee kam, er könnte den Rest des Wortes als Anfang eines anderen Wortes haben (was natürlich Blödsinn war, welches Wort fängt schon mit "ktro" an?), hat er mir "juso" daraus gemacht =) Ich glaube, man sollte Spektrogramme demnächst nur noch in rot malen ;)