Le Tiroir – Schublade auf Französisch
Mal ein paar Worte zu dem, was mich in Frankreich mit am meisten ankotzt: Dem Elitedenken. Aktuell ausgelöst von einer politischen Diskussionsrunde, der ich gestern im Fernsehen beigewohnt habe. Da echauffierte sich eine konservative Politikerin über die Worte ihres sozialistischen Kollegen, die Jugend sei viel politischer heutzutage und er begrüße das. „‚Die Jugend’,” meinte sie dann, „wenn ich das schon höre! Die Jugend ist doch kein uniformer Block.” Normalerweise immer ein berechtigter Einwand, wenn auch hier vielleicht nicht so angebracht. Aber ihre Begründung war dann der Hammer: „Die Jugendlichen von einer Grande Ecole und die aus den Banlieues, da hat das eine doch mit dem anderen nichts zu tun!” Puh, das saß bei mir. Leider kann man diese Meinung, wenn auch nicht in so ausformulierter Form, sehr häufig antreffen. Wer auf einer Eliteuni ist, ist ein guter Mensch, wer aus einem Vorort kommt potentiell ein Gewalttäter, aber bestimmt kein heller Kopf. Und dann wundert man sich, warum die wirklich Autos anzünden. Self-fullfilling Prophecy nennt man sowas. Und diese Denkweise regt mich ja überhaupt so unheimlich auf! Zumal grade in Deutschland zu beobachten ist, dass die Richtung verfassungswidrigerweise genau dieselbe ist.
Überhaupt habe ich das Gefühl, dass es hier allgemein anerkannt ist, dass man sich über seinen Lebenslauf, seinen „CV” definiert. Kleines Beispiel nur die Englischkurswerbung, die man allerorten in der Métro antrifft: „Guter CV, aber... Do you speak English?” Würde man glaub ich in der Form eher nicht in Deutschland sehen. Vor allem frag ich mich immer, wenn ich die Werbung lese: „Und was ist mit den Leuten, die schonmal gar keinen guten CV haben?” Nach denen fragt nämlich wohl dann keine Sau mehr. Versau dir ein Datum im CV und du kannst dich aus der Gesellschaft verabschieden. Das ist doch der Druck, dem man sich ständig und von klein auf ausgesetzt sehen muss.
Außerdem muss man hier so ziemlich zu allem seinen Lebenslauf einreichen. Ein Prof wollte zu Anfang meines Jahres hier von allen in seiner Vorlesung einfach pauschal mal einen haben und als ich mich davor auf die Uni in Orsay beworben habe, hab ich glaub ich drei oder vier Lebensläufe in verschiedenen Formaten angefertigt.
Auch in normalen Gesprächen kommt das Thema viel häufiger auf den „CV”, was denn wohl gut dafür wäre und so. Wie gesagt, darüber wird man eben definiert in der Arbeitswelt und die (Lohn-)Arbeitswelt definiert einen ja nicht nur in Frankreich. Als das mit den Banlieues noch ein echtes Thema war, weil die grade brannten, war sogar im Gespräch, anonymisierte Lebensläufe einzuführen, damit nicht Wohnort oder Name eine Rolle spielen bei der Bewerbung. Hat sich, soweit ich weiß, im Sand verlaufen, aber auch hier zeigt sich wieder, wie zentral die Dinger im Denken sind. Und wie schlecht als Kriterium geeignet.
Und um den Bogen zum Elitedenken wieder zu schließen: Auf deinem CV ist nicht nur wichtig, von welcher Uni du kommst, auch das Gymnasium spielt schon eine große Rolle, wenn es darum geht, in welche Schublade du kommst. Und das ist besonders prekär, denn darüber, auf welche Schule du kommst, entscheiden in Frankreich nicht einmal irgendwelche fadenscheinigen „Leistungskriterien”, sondern schlicht und ergreifend, wo du wohnst. So denkt meine Oma jetzt schon daran, dass meine Tante bloß da wohnen bleiben soll, wo sie wohnt, damit Oscar nachher auf eine renommierte Schule kommt! Ich find sowas nur krank.
Überhaupt habe ich das Gefühl, dass es hier allgemein anerkannt ist, dass man sich über seinen Lebenslauf, seinen „CV” definiert. Kleines Beispiel nur die Englischkurswerbung, die man allerorten in der Métro antrifft: „Guter CV, aber... Do you speak English?” Würde man glaub ich in der Form eher nicht in Deutschland sehen. Vor allem frag ich mich immer, wenn ich die Werbung lese: „Und was ist mit den Leuten, die schonmal gar keinen guten CV haben?” Nach denen fragt nämlich wohl dann keine Sau mehr. Versau dir ein Datum im CV und du kannst dich aus der Gesellschaft verabschieden. Das ist doch der Druck, dem man sich ständig und von klein auf ausgesetzt sehen muss.
Außerdem muss man hier so ziemlich zu allem seinen Lebenslauf einreichen. Ein Prof wollte zu Anfang meines Jahres hier von allen in seiner Vorlesung einfach pauschal mal einen haben und als ich mich davor auf die Uni in Orsay beworben habe, hab ich glaub ich drei oder vier Lebensläufe in verschiedenen Formaten angefertigt.
Auch in normalen Gesprächen kommt das Thema viel häufiger auf den „CV”, was denn wohl gut dafür wäre und so. Wie gesagt, darüber wird man eben definiert in der Arbeitswelt und die (Lohn-)Arbeitswelt definiert einen ja nicht nur in Frankreich. Als das mit den Banlieues noch ein echtes Thema war, weil die grade brannten, war sogar im Gespräch, anonymisierte Lebensläufe einzuführen, damit nicht Wohnort oder Name eine Rolle spielen bei der Bewerbung. Hat sich, soweit ich weiß, im Sand verlaufen, aber auch hier zeigt sich wieder, wie zentral die Dinger im Denken sind. Und wie schlecht als Kriterium geeignet.
Und um den Bogen zum Elitedenken wieder zu schließen: Auf deinem CV ist nicht nur wichtig, von welcher Uni du kommst, auch das Gymnasium spielt schon eine große Rolle, wenn es darum geht, in welche Schublade du kommst. Und das ist besonders prekär, denn darüber, auf welche Schule du kommst, entscheiden in Frankreich nicht einmal irgendwelche fadenscheinigen „Leistungskriterien”, sondern schlicht und ergreifend, wo du wohnst. So denkt meine Oma jetzt schon daran, dass meine Tante bloß da wohnen bleiben soll, wo sie wohnt, damit Oscar nachher auf eine renommierte Schule kommt! Ich find sowas nur krank.
3 Comments:
Nun, die CVs sollte man nicht ueberbewerten. Natuerlich sind sie wichtig (wie auch in Deutschland), allerdings habe ich hier noch keinen CV gesehen auf dem der Namen des Lycées stand. In den letzten zwei Jahren habe ich auch festellen koennen, dass mehr und mehr Leute ihre CVs annonym einreichen. Fuer normale Cadres reicht es vollkommen und ist auch nicht hinderlich.
Allerdings, und da hast Du recht, gelten fuer die Cadres supérieur der grossen nationalen Firmen andere Regeln, jedoch spielen die i.d.R. in einer anderen Liga.
By Anonym, at 20/3/06 19:27
Das ist ja gut zu hören, dass es in der Praxis doch nicht so rau zugeht. Ich habe ja noch keine berufliche Bewerbung mitgemacht (und selbst wenn, ist man als Ausländer sicher nicht so in diesem Affenzirkus gefangen), ich kenne nur die ständige Furcht vieler Leute vor dem versauten CV. Das geht so weit, dass meine Oma es für schlecht hielt, dass mein Cousin in einem Krankenhaus mit einer 93er Postleitzahl geboren ist! Als wäre das ein ewiger Schandfleck, den man nicht mehr tilgen kann. Gut, meine Oma ist da glaub ich recht extrem, aber die Tendenz hab ich auch bei anderen Leuten festgestellt und war immer wieder unangenehm überrascht.
By mudd1, at 20/3/06 19:42
Also, auch in DE ist der CV nicht ganz unwichtig. Vielleicht nicht so wichtig, wie einem die Bewerbungsratgeber immer einreden wollen, aber auch deutsche Firmen fragen im Einstellungsgespräch kritisch nach, wenn mal eine Note in der zwölften Klasse nur ne drei war oder ähnliches...
Den Bewerbungsratgebern würde ich aber prinzipiell nicht mehr vertrauen. So viel Stuß wie da verbreitet wird... Und wenn ein CV, um als akzeptabel zu gelten, wirklich so sein müßte, wie oft angenommen, dann wäre eine Menge Stellen nicht zu besetzen. Die Zahl der Absolventen mit Auszeichnung in Regelstudienzeit, unter 23 Jahren, vier Fremdsprachen flüssig gesprochen, ein Jahr Auslandsaufenthalt, Wirtschaftserfahrung aus diversen Praktika (international natürlich) und sozialem oder kulturellem Engagement nebenher ist dann doch sehr gering.
Sprich: Der CV ist nicht unwichtig, aber wird mMn auch oft überschätzt.
By Anonym, at 24/3/06 18:29
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