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Frog Blog

16.8.06, 13:52 Uhr

Little Differences IV – Die Bildungselite

Elite ist Ansichtssache. Meiner Meinung nach ist die beste Methode, Großes hervorzubringen, den Pluralismus zu fördern. Dazu gehören auch Leute mit großen Plastikhirnen auf dem Kopf wie auf diesem Foto. Für die Schule bedeutet dies, dass jeder nach seinen Fähigkeiten gefördert werden sollte, anstatt zu versuchen, allen möglichst viel klassische Bildung einzutrichtern, die sich die meisten eh nur bis zur nächsten Klassenarbeit merken.
Bild von Adam Rice, unter Creative Commons
Das Wort Elite hat in Frankreich den grausamen Stellenwert, den sich deutsche Politiker für uns auch zu wünschen scheinen. Grandes Écoles und Eliteunis sind normaler Bestandteil des Bildungssystems. Wer dort war, hat gewonnen, wer nicht dort war, kriegt manche Jobs einfach nicht. Die Konsequenz der Volksferne der politischen Kaste hatte ich ja schon einmal erwähnt.

Elitestudenten defilieren auch am 14. Juli auf den Champs-Élysées mit und kriegen Sondersendungen in Quizshows, wo sie in ihren Uniformen zeigen dürfen, wer die beste der Bestenschulen ist.

Ein besonders schönes Beispiel für den Stellenwert der Elite in Frankreich ist nun Gott sei Dank Geschichte: Früher begannen Privatschulen morgens eine Viertelstunde früher mit dem Unterricht, damit sich deren Schüler auf der Straße nicht mit dem Pöbel mischte. Über die Effektivität der Maßnahme kann man sicher streiten, aber es ging wohl auch mehr ums Symbol. Und das ist gelungen.

Und gleichzeitig mit dem Ruf nach Elite in Deutschland wird schon an der Schule jede Abweichung von der Norm hart bestraft. Irgendwie kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass es nicht sehr elitäre Geister sind, die da gerade versuchen, eine Bildungselite aus dem politischen Hut zu zaubern.

See No Evil

Googlelogosatire anlässlich des 6.6.06, bei der das 'oo' durch ein '666' ersetzt ist. Hoffen wir einmal, dass es keine anderen Gründe geben wird, das Googlelogo so zu verändern.
Bild von kbaird, unter Creative Commons
So langsam fügt es sich zusammen. Während ich bisher noch diffus das Kommen einer Google-Gesichtersuche prophezeit habe, ist Google Faces jetzt einen Schritt näher gerückt. Google hat Neven Vision geschluckt (via Heise), eine Firma für inhaltsbasierte Suche auf Bilddaten, inklusive Gesichtserkennung. Bisher ist die Rede von einer lokalen Suche oder höchstens der auf ihrem Web Albums, so wie es Riya bereits bei sich anbietet.

Aber irgendwann wird ein Anbieter den Schritt machen, auch die Fotos im Web mit Daten über enthaltene Objekte und Gesichter zu ergänzen. Und dann müssen die anderen nachziehen. You can make money without doing evil hin oder her.

Auf der anderen Seite ist mir wichtig zu betonen, dass Google ja gerade deshalb so akribisch beäugt wird, weil sie eben diese „Do no evil”-Philosophie haben. Von anderen Firmen erwartet man gar nichts anderes, als dass sie inhärent böse sind.

5.8.06, 20:36 Uhr

Schlechte Reise live 2 – Kind- und Köterfrust

Diese Reise ist mal wenig angenehm bisher. Im ersten Zug fuhren die komplette Strecke Blagen mit starkem Schäubledialekt mit, die lautstark mit ihren Autos spielte, durch den Gang rannten und sich im Zug kloppten. Wären sie mir wenigstens auf Hochdeutsch auf die Nerven gefallen! Und die Mutter hat in unregelmäßigen Abständen „Jetzt ist aber endgültig Schluss hier!” gebrüllt, „Hört sofort auf so einen Lärm zu machen!”. „Nein.” war die lapidare Antwort der Kinder, nur ein einziges Mal von einer Frage nach dem Grund des Verbots gefolgt. Die Antwort „Weil ihr nicht allein seid im Zug und die anderen Leute stört.” beeindruckte sie argumentativ aber nicht im geringsten. Auch eine fremde Frau hat sie mehrfach gebeten, nicht so zu rennen, was aber nur mit einem irritierten Schulterblick quittiert wurde.

Jetzt sitze ich im Eurocity und es ist ruhiger, dafür weiß ich nicht so recht, womit ich mir die Zeit vertreiben soll, weil ich zu müde zum Lesen bin (heute Morgen schon um halb acht wach gewesen), aber vorhin auch nur kurz schlafen konnte. Außerdem liegt so ein blöder Schoßwauwau unter dem Sitz vor mir und stinkt ganz erbärmlich. Dani will mir immer nicht glauben, dass Hunde stinken, wenn sie nicht nass sind. Aber sie tun es und ich hasse diesen Geruch. Normalerweise halte ich die Luft an, aber da der sich hier häuslich eingerichtet hat, habe ich wohl nicht so die Wahl.

Schlechte Reise live 1 – Fahrkartenfrust

Gestern habe ich mich über die Deutsche Bahn geärgert, die es nicht fertig bringt, Fahrkarten für die französische Bahn zu verkaufen, die den speziellen Tarif für Jugendliche bis 26 nutzen. Also musste ich den vollen Preis zahlen. Dafür hatten sie aber extra einen Menschen angestellt, der statt am Schalter die Karten am öffentlich zugänglichen Automaten für mich eingetippert hat.

Deshalb zahle ich jetzt etwas mehr Geld als auf der Hinfahrt, sitze dafür aber nicht in einem TGV sondern in einem EC, der eigentlich um die 20 Euro weniger hätte kosten sollen. Nie wieder in Deutschland Zugfahrkarten kaufen, wenn ich es vermeiden kann.

Und wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Tropfen her.

Verfluchte eindreiviertel Stunden bin ich gerade nach Hause gelatscht. Anfangs war der Weg nur lang und durch Nieselregen ziemlich ungemütlich. Die letzten drei Kilometer waren aber einfach nur noch zum Kotzen. Es goss in Strömen und mein Regenschirm half irgendwann nur noch einen Scheiß. Das Wasser kam vom Himmel, von der Seite und in Form von Sturzbächen auch von unten. Meine Hose war um ein Vielfaches schwerer als zu Beginn der Wanderschaft und immer wenn ich dachte, dass sie nun vollends voll Wasser gesogen wäre, fiel mir kurze Zeit später auf, dass sie noch schwerer geworden war. Warum nur haben wir nicht den letzten Bus genommen?

Es war der Rückweg vom Olewiger Weinfest. Eine erstaunlich gute Festivität mit einem anständigen Feuerwerk und bei mehreren Livebands durchgängig überraschend OKer Musik. Auch wenn wir kaum etwas davon erlebt haben, weil wir die meiste Zeit bei einem Freund vom René waren, der viele Leute eingeladen hatte und mit Trank und Wraps bewirtete.

Früher am Tage hatte ich René endlich bei sich zuhause angetroffen (nachdem er es auch ausgleichend noch einmal vergeblich bei mir versucht hatte) und er hat mir erzählt, dass er jetzt für zwei Jahre nach Schweden geht, um seinen Master zu machen, wir haben etwas über alte Zeiten gequatscht und uns über die zugekoksten Schreiber von Gerichtsshowplots lustig gemacht, während wir ihre Quote gesteigert haben1.

Oh und noch früher am Tage war ich bei den Nachbarn was ausdrucken und habe die schöne Erfahrung gemacht, dass Windows XP es jetzt nicht mehr für nötig hält, peinliche Bluescreens anzuzeigen, wenn was schiefläuft, sondern die Kiste gleich diskret komplett neustartet. Ein lustiger Tag also, Schade um das nasse Ende.

1 Ich weiß, dass wir ihre Quote nicht wirklich steigern, solange da kein so ein komisches Quotenmessgerät installiert ist, aber mein Gott.

4.8.06, 00:00 Uhr

Little Differences III – Religion im Fernsehen

Ein neonhinterleuchtetes Kruzifix.
Bild von SC Fiasco, unter Creative Commons
Nachdem ich gesehen habe, dass hier jeden Sonntag ein Gottesdienst im öffentlich rechtlichen Fernsehen übertragen wird, dachte ich schon: „Hoppla guck an, das hat hier ja noch weniger geklappt mit der Trennung von Staat und Kirche als bei uns!” Aber dann habe ich mir erklären lassen, dass es direkt hintereinander einen katholischen, einen evangelischen, einen muslimischen und einen jüdischen Sendeplatz gibt. Das ist doch mal eine Ansage. Gut, jetzt ist die katholische Sendezeit irgendwie doppelt so lang wie die jeweils anderen, aber schließlich ist das momentan auch noch die weitaus häufigste Religion in Frankreich, nachdem die Protestanten nur in ein paar entlegenen Bergdörfern am Leben geblieben sind und das mit der Einwanderung wohl auch nicht so dramatisch ist, wie man die rechten Wähler glauben machen will. Wie die Reaktion auf eine Forderung von Schiiten und Sunniten wäre, auch jeweils einen eigenen Platz zu bekommen, weiß ich allerdings auch nicht. Nachdem neulich schon der erste schwarze Moderator in der Geschichte der Abendnachrichten das Tagesthema Nummer 1 war. Ist wohl noch ein weiter Weg zur Gleichstellung der „sichtbaren Minderheiten”.

3.8.06, 22:59 Uhr

Viele Begegnungen

Heute habe ich den Versuch unternommen, die Leute zu treffen, die ich hier im Dorf noch so kenne und ewig nicht gesehen habe. Zuerst war das mein Freund aus Grundschulzeiten René, dessen Mutter meinen Großeltern erzählt hatte, dass er momentan im Lande ist. Ich bin also nach unserem Mittagessen da hin und seine Mutter hat mir auch aufgemacht, allerdings musste sie mir mitteilen, dass er unterwegs sei und erst zum Mittagessen wieder da wäre („mir esse um zwölf”, andere Familien nicht).

Ich bin dann also durch den aufgekommenen Schauer wieder zurückgestapft (das Haus liegt nur gut 100 m entfernt, ging also, vor allem mit Schirm) und habe meinem Opa eine Freude gemacht, indem ich mit ihm auf VHS überspielte Super-8-Filme geguckt habe. Leider hat mein Opa die Angewohnheit, immer ausführlich zu kommentieren, wer gerade zu sehen ist (was man schnell selbst erkennt) und wer von den zu sehenden Freunden schon tot ist (was morbide wirkt), aber keine Geschichten und Anekdoten zu den Bildern zu erzählen (was interessant wäre).

Den Vormittag hatte ich übrigens schon damit verbracht, ihm den Umgang mit dem neuen Videorecorder beizubringen. Der kann ShowView, was der ursprünglichen Idee nach auch meinem Opa ermöglichen sollte, Aufnahmen zu programmieren. Leider kamen wir in den circa zwei Stunden nicht über die Direktaufnahme des laufenden Programms hinaus. Jeder Informatiker sollte einmal im Leben meinem Opa die Bedienung eines technischen Gerätes erklärt haben. Danach sieht man Benutzeroberflächen mit anderen Augen.

Wobei dieser Videorecorder noch dazu tatsächlich eine Katastrophe war, was das anging. In Teilen des Menüs kam man mit den Hoch-/Runtertasten nach oben und unten, in anderen hat man damit die Werte verstellt und die sonst dafür vorgesehenen Links-/Rechtstasten bewegten die Markierung hoch und runter. Bravo, da hat sicher jemand stundenlang am Schreibtisch gesessen für. Aber wie gesagt, bis zu dieser Stolperfalle kamen ich gar nicht erst mit meinem Opa. Den Namen des Videorecorderherstellers habe ich mich leider nicht gemerkt, aber er stand auch nicht sehr groß irgendwo dran. Manchmal ist No-Name also doch nicht so das Wahre.

Nach den Filmen gab es dann Schwarzwälder Kirschtorte von meiner Oma, nachdem wir den ersten Kuchen vom Dienstag schon vernichtet hatten. Lecker! Hab gleich vier Stücke gegessen. Früher hab ich auch schonmal über eine halbe Torte auf einmal verputzt, aber man wird wohl auch nicht jünger.

Danach bin ich bei strahlendem Sonnenschein wieder zu René und diesmal hat lange niemand aufgemacht und dann sein Vater, der immer eine angenehme Gemütlichkeit ausgestrahlt hat und mir nun im Bademantel an die Tür geschlurft kam, um mir mitzuteilen, dass René nun wieder weg wäre, weil er leider eine Verabredung gehabt hätte, aber dass er bei mir vorbeischauen würde. Na dann warte ich mal ab, wann er eine Lücke im Terminkalender hat =)

Dann bin ich wieder kurz zuhause vorbei und habe meine Oma gefragt, ob sie Einwände hätte, wenn ich einen Teil der Torte zu den Nachbarn entführte. Mit deren Sohn Jonas hatte ich nämlich auch immer einen guten Kontakt, wenn ich hier unten war und außerdem ist die ganze Familie recht angenehm und kultiviert. Mein Opa hasst sie, aber im Gegensatz zu meiner Oma, die sich davon ihr eigentlich gutes Verhältnis zur Nachbarin einschränken lässt, war mir das ziemlich schnurz. Ich habe also drei Stücke Torte rübergetragen und Jonas' Mutter gleich vor der Tür angetroffen, wo sie den Bewuchs aus der Abflussrinne am Bordstein entfernte, weil sie sich nicht die Schmach vom letzten Jahr geben wollte, wo der Nachbar von gegenüber ihre ganze Rinne gesäubert hatte. Nur auf die lobende Anerkennung musste er lange warten, weil sie das einfach nicht bemerkt hatten. Mir wäre es jetzt auch nicht aufgefallen, dass die eine Hälfte der Rinne schon anders aussah als die andere, aber ich hab wohl einfach noch nicht die richtigen Nachbarn gehabt.

Jonas war wie erwartet nicht da, aber wir haben uns eine lange Weile sehr nett unterhalten und der Kuchen kam erwartungsgemäß gut an.

Ich bin dann direkt weiter zur dritten und letzten Station, zu einem Freund, der ebenfalls noch aus Grundschulzeiten stammt und den ich noch länger nicht gesehen hatte als René. Benedikt wohnt ganz oben im Dorf und ich hatte vergessen, wie Steil der Hunsrück ist. Zumindest im Vergleich zu Bielefeld und zu Paris erst recht. Ich bin froh, dass ich in Deutschland mit Sport anfange.

Da machte mir völlig unerwartet ein kleiner Junge auf, was schon an den rennenden Schritten hinter der geschlossenen Tür zu erkennen war. Darauf war ich nun gar nicht vorbereitet, aber der Kleine war es wohl schon gewohnt, völlig Unbekannte an der Tür anzutreffen und bat mich erstmal mit einer Geste rein. Eine Einladung der Eltern wäre mir lieber gewesen, aber was soll's. Den Flur entlang im Wohnzimmer sah ich dann Erwachsene und fragte unbeholfen: „Äh, ist Benedikt da?” Woraufhin ein auch etwas unbeholfenes „Nein... kommen Sie doch erstmal rein!” gerufen wurde. „Ja, ich... äh, zieh erstmal die Schuhe aus.” Das musste man nämlich da immer tun, an der Tür die Schuhe ausziehen.

Ich traf dann Benedikts Mutter an und seinen Vater, der ein klitzekleines Minikind auf dem Arm hatte. Die meinten meinen Namen noch vage zu kennen, mein Gesicht allerdings gar nicht mehr. Dann kam noch Benes Schwester aus der Küche gestürmt und die Mutter fragte die erstmal, ob sie mich noch einordnen könnte. Ich erwiderte den prüfenden Blick nervös wie in die Kamera einer biometrischen Kontrolle grinsend und dachte bei mir nur: „Benedikt hat eine Schwester?!” Tja, wohl nicht nur das, sondern dank ihr auch noch zwei Neffen. Um Himmels Willen. Und dabei sah die nicht viel älter aus als ich. So wie Transsexuelle als Frauen in einem männlichen Körper gefangen sind oder umgekehrt, bin ich in einem zu alten Körper gefangen. Alle um mich herum gründen Familien und so Sachen, da komm ich nicht drauf klar. Vielleicht liegt das nur daran, dass meine Schulzeit sozial so verpfuscht war, aber ich komme mir vor, als hätte ich ein Jahrzehnt verpennt.

Jedenfalls war das ganz kleine Kind erst drei Wochen alt, zumindest seiner Mutter zufolge. Sein Bruder legte vehement Widerspruch ein und sagte, es wären schon vier, aber ich glaube einfach mal der Mutter in dem Fall. Ich nehme an, dass sie da die eindringlicheren Erinnerungen hat.

Wir haben dann bestimmt anderthalb Stunden da gesessen und uns unterhalten, wobei ich rausgefunden habe, dass Benedikt momentan in Asien ist, um die Seidenstraße mit dem Fahrrad nachzufahren, angefangen in Tadschikistan, das Ziel kommt auf die Kulanz der chinesischen Grenzer an. Pässe von 4000 Metern Höhe – ich hoffe, er ist nicht gedopt. Vielleicht wird er in Gutweiler sein, wenn ich im Oktober wieder hier herunterkomme, das wäre wirklich schön. Aber bis dahin konnte ich mal einen Teil seiner Familie ein bisschen besser kennenlernen. Auch ausgesprochen nette, interessante und vor allem angenehme Menschen. Und ich weiß noch, dass ich Benedikt früher schon um das Umfeld beneidet habe, in dem er großgeworden ist.

Auf dem Weg nach draußen habe ich mir natürlich wieder meine Schuhe angezogen, die ich in alter Gewohnheit beim Reinkommen ausgezogen hatte und Benes Vater fragte vorsichtig, ob es bei ihnen früher so üblich gewesen wäre, dass ich das so ganz automatisch gemacht hätte. Eigentlich würden sie das ihren Gästen ja nicht mehr abverlangen, aber er wäre selbst so verwirrt gewesen am Anfang, dass er nichts gesagt hätte. Ich musste sehr grinsen :)

Irgendwie ist es aber schon ein sehr seltsames und aufregendes Gefühl, so lange nicht besuchte Orte und Menschen wieder aufzusuchen. Das ist ein ganz besonderer Nervenkitzel aus Erinnerungen und dieser „Was hat sich verändert?”-Erwartung. Und davon hatte ich eine Menge dieser Tage.

Auf dem Rückweg habe ich dann auch noch Jonas' Vater getroffen und mich kurz mit ihm unterhalten. Alles in allem ein sehr schöner und ereignisreicher Tag, auch wenn ich keine der erhofften Personen angetroffen habe.

PS: Ha, und Benes Schwester war zu Schulzeiten mit einem Bielefelder zusammen und kannte die Stadt daher ein bisschen. Und ihr Freund war auf demselben Gymnasium wie ich. Hammer klein die Welt!

Nachtrag: Zu der Videorecordersache fällt mir noch ein: Die konsequente Ersetzung im Trierer Raum von „nehmen” durch „holen” erstreckt sich nicht nur auf das Abholen von Gewicht bei einer Diät („Isch hab allein letzt Woch 10 Pfund abgeholt!”) und Wortneuschöpfungen wie „mitholen”, sondern, wie ich nun hören musste, auch auf das Aufholen von Fernsehsendungen. Interessanterweise sind es aber trotzdem noch „Aufnahmen” und keine „Aufholungen” oder dergleichen. Nichtsdestotrotz würde ich gerne mal einen Trierer Historiker hören, ob der auch Schätzchen produziert wie: „Diese Festung wurde während ihrer ganzen Geschichte kein einziges Mal eingeholt.” Möglich erscheint es mir inzwischen.

2. Nachtrag: Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass der letzte Satz in Klammern des ersten Absatzes mindestens missverständlich ist. Ich zitiere nicht die arme Mutter meines Freundes sondern den Becker Heinz aus der fast gleichnamigen Fernsehserie. Denn meine Oma ist es, die mit bald furchteinflößender Pünktlichkeit um Schlag zwölf Uhr das Essen auf dem Tisch stehen hat. In der Form kenn ich das sonst eben nur aus dem Fernsehen. Und es war immer so, dass ich nach dem Mittagessen zu Réne ging und dann genau in deren Mittagessenszeit reinrasselte.

2.8.06, 22:56 Uhr

Die Beerdigung

Heute war also die Beerdigung meines die meiste Zeit einzigen Cousins. Ich kann nicht behaupten, dass mir sein Tod jetzt weniger unwirklich vorkäme.

Wie gestern schon gesagt war die Beerdigung in Luxemburg, wohin wir – das heißt meine Großeltern, Frédérics Vater, seine Frau Monique und ich – um halb neun aufgebrochen sind. Trotz einiger Verwirrungen wegen einer Umleitung waren wir noch eine halbe Stunde zu früh und mussten mit vielen anderen, die schon gekommen waren, bis um 10 Uhr vor dem Krematorium warten bis wir rein durften. Das Krematorium war ein bedrückender Backsteinbau unter einer Einflugschneise. Es waren sicher um die 60 Trauergäste da und die zum überwiegenden Teil sehr jung. Also viele Freunde von Frédéric. Das war sehr schön!

Die Zeremonie sollte unreligiös sein, hatte mir meine Oma vorher gesagt. Ein rednerisch geübter Mitarbeiter der Bestattungsfirma, der sich vorher über den Verstorbenen informiert hatte, sollte die Rolle des Priesters spielen. Es gab aber offenbar eine Planänderung, sodass ein rednerisch ungeübter Mitarbeiter der Kirche, der sich vorher nicht die Bohne informiert zu haben schien, den Job übernommen hat. Für die Zeremonie Variante „Religion, katholisch” war auch ein sterbender Jesus am Kreuz in messingener Garderobenständeroptik hereingefahren worden. Ein an sich schönes, aber leider digital nachbearbeitetes Foto zierte das Rednerpult, daneben stand auf einer niedrigen Steinplatte eine unangemessen funktional aussehende Urne. Auf den Rand der Steinplatte waren die Blumen und ein paar Kerzen verteilt. Diese Lieblosigkeit in den Details fand ich ziemlich schade.

Die wenig ergreifende Rede wurde auch nicht gefolgt von persönlicheren Worten naher Verwandter und guter Freunde. Dabei hätte ich sehr gerne ein paar der versammelten Freunde gehört. War aber nicht vorgesehen.

Bei der Beerdigung meiner Uroma war alles inklusive Gebäude waschecht katholisch, trotzdem hat der Pfarrer die Nichtgläubigen explizit aufgefordert, doch statt des Weihwasserkreuzes eine Geste ihrer Wahl zu machen, um sich persönlich zu verabschieden. Bei dieser kurzfristig christianisierten Feier war davon aber keine Rede, also hat es auch keiner getan. Und meine Auffalltoleranz war da überschritten, ich wollte nicht der erste sein, der aus der Reihe tanzt. Zumal auch noch dagegen sprach, dass man fast nichts anderes machen konnte. Bei meiner Uroma konnte man den Sarg berühren, bei Frédéric stand die wie gesagt nicht sehr zierende Urne außer Reichweite.

Und hätte der Priester bei meiner Uroma um diese christliche Geste gebeten, hätte ich das sogar noch verstehen können, denn meine Uroma war religiös. Wenn demjenigen so eine Geste etwas bedeutet hätte, dann bitte. Aber so hat sie weder mir noch Frédéric etwas bedeutet und mich nur daran gehindert, mich vernünftig zu verabschieden, auch wenn ich nach dem Rumspritzen noch einen Moment verweilt bin, ungeachtet der Nachrückenden.

Schön hingegen war, dass während dieser Einzelverabschiedung sein Lieblingsstück gespielt wurde, auch wenn es „unangemessene” Technomusik war.

Danach waren wir in eine Kneipe in Trier geladen, die ausgesprochen hübsch eingerichtet war und überhaupt ein angenehmes und freundliches Ambiente hatte. Dort lief auch dezente aber schöne Musik und es gab ein gutes Buffet. Leider war es schwierig, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, aber ich habe mich stattdessen mit meinem Onkel Rainer und Monique sehr angenehm unterhalten. Und da das letzte Mal als Kind war, war das in dieser Form völlig neu. Das war wirklich sehr schön.

Die beiden mussten aber dann auch schnell wieder aufbrechen, um ihren Flieger noch zu kriegen. Genau wie bei Peter wartete auch bei denen die Arbeit leider nicht. Also sind wir nach anderthalb ungefähr dann wieder aufgebrochen und zurück zu meinen Großeltern.

1.8.06, 19:59 Uhr

Auf dem Weg zur Beerdigung

Ich fahre gerade an einer tollen verfallenen Industrieanlage vorbei: große Hallen, lange Rohrleitungen, zerbrochene Scheiben und alles gemauert, kein Wellblech, kein Beton. Sie befindet sich irgendwo vor Thionville, wo ich jetzt gerade eingefahren bin. Ich befinde mich auf dem Weg von Paris über Luxemburg nach Trier, um dann morgen wieder von Trier nach Luxemburg zu fahren, um mich da schließlich von Frédéric zu verabschieden.

Außerdem habe ich gerade meinen Onkel Peter von der Réunion getroffen, der von Trier nach Paris gefahren ist, um dort seinen Flieger nach Hause zu nehmen; die Beerdigung ist zu spät für seinen Terminkalender. Verzögert wurde sie von der Obduktion und dem Grenzübertritt. Letzterer war nötig, weil Deutschland keine Bestattung ohne Grab erlaubt. Sonntag rief Peter an, er wolle mich noch sehen, würde aber Dienstag schon fahren. Da ich nicht früher kommen konnte, haben wir uns eben in Paris getroffen. Schon klein die Welt irgendwie. Auf einen Vorschlag meiner Oma hin haben wir uns bei La Villette getroffen, genauer gesagt unter La Géode. Da konnte ich sehr angenehm in toller Umgebung warten, bis das Wetter plötzlich schlechter wurde. Zum Glück kam dann aber auch mein Onkel und wir haben uns ins Gebäude gesetzt um etwas zu trinken. Ich hatte etwas Bammel vor der Begegnung, weil ich fürchtete, wir hätten uns nichts zu erzählen, obwohl wir uns schon seit Jahren nicht gesehen haben. Es wurde aber recht lustig und bevor uns der Gesprächsstoff ausging, mussten wir beide eh los, er zum Flughafen, ich zum Bahnhof. Eigentlich wollte ich erst Mittwoch anreisen und dann direkt zur Beerdigung und erst hinterher nach Trier, aber der Termin, der erst Montag festgelegt wurde, fiel auf 10 Uhr Vormittags und das war selbst mit dem 7-Uhr-Zug nicht zu schaffen. Also fahre ich ein bisschen Karussell. Die Fahrt dauert fünf Stunden und ich habe mir die Zeit bisher mit Offline-Bloggen vertrieben. Dazu benutze ich einen tollen Editor, von dem mir Florian erst die Tage erzählt hat. WriteRoom heißt der, kann nix und läuft im Vollbildmodus ohne einen einzigen Button. Die Ablenkungsfreiheit einer Schreibmaschine soll er dem Computer wiedergeben und ich finde, das ist hervorragend gelungen. Außerdem ist so schöne große Schrift ohne Schnickschnack sehr ästhetisch. Mein Akku wird allerdings trotz Displayeinstellung „reicher Optiker” nicht bis ganz nach Trier halten. Aber ich glaube ab dem Umstieg in Luxemburg vom TGV in einen DB-Bummelzug, werde ich mich eh mit Medien begnügen, die keine erschütterungsempfindliche Festplatte beinhalten.

Ich bin schon gespannt, ob ich morgen bei der Beerdigung endlich so richtig begreife, was passiert ist.